Als ich diesen Blog hier angefangen habe, dachte ich doch wirklich, dass abgesehen vom üblichen Umzugsstress so nach und nach alles wieder in gewohnte alltägliche Bahnen kommt und ich hier über ganz normale Dinge schreiben kann.
Aber irgendwie kommt es wohl immer anders, als man es sich wünscht.
Denn mit einem hatten wir nämlich nicht gerechnet.
Mit der Ignoranz, Gleichgültigkeit und auch dem mangelnden Verständnis für unsere Situation.
Dass es für uns 5 nicht so einfach war, quasi über Nacht unser Leben in Ghana aufzugeben, nach Deutschland zu fliegen und hier erst mal vor dem Nichts zu stehen, ist vielleicht nachvollziehbar.
Als wir am 23. März in Dresden gelandet sind, hatten wir 9 Koffer, ein wenig Handgepäck.
Und darin war alles, was für uns irgendwie Wert hatte, teils materiell, vieles davon aber eher emotional wichtig.
An diesem Morgen in Dresden wussten weder Philipp noch Julian, dass es ein Flug ohne Rückkehr war. Nur Chris hatten wir es am Tag zuvor gesagt.
Freunde von uns hatten ein Großraumtaxi an den Flughafen geschickt, damit wir mit unserem Hab und Gut erstmal nach Mittweida kommen. Glücklicherweise war mein Vater gerade im Urlaub und so hatten wir mit seiner Wohnung wenigstens erstmal eine Bleibe für die nächsten 5 Tage. Viel weiter ging unsere Zukunft da noch nicht.
Von da aus ging es für die restlichen Tage im März noch in eine angemietete Gästewohnung, ab 1. April hatten wir uns dann in Ingolstadt ein Hotelzimmer genommen, denn nach vielem Hin und Her stand dann fest, dass Dani wieder nach Ingolstadt versetzt wird und wir uns hier ein neues Leben aufbauen können.
Wieder in Deutschland zu sein, fühlte sich für mich meist nur wie ein Traum an - wie ein Alptraum. Es war kalt, grau, es gab noch Schnee, sehr ungemütlich. Aber schlimmer als das unangenehme Wetter waren die Gefühle, die in mir hochkamen, als mir langsam bewusst wurde, dass ich gerade einen Abschied ohne Wiedersehen hinter mir hatte.
Obwohl man das nicht wirklich als Abschied bezeichnen kann, denn von wem hatte ich mich denn verabschiedet??
Ausser Danis Kollegen und 2 anderen Familien wusste keiner davon.
Wenige Tage zuvor hatte ich noch lächelnd mit lieben Bekannten geredet und mich Freitag verabschiedet mit den Worten: "Bis nächste Woche".
Und ich wusste, es war eine Lüge, es gab keine nächste Woche.
Ich wusste nicht, wie man diesem Schmerz verarbeitet, ich habe erstmal nur versucht, all diese Gedanken beiseite zu schieben, nicht darüber nachzudenken.
Ich hatte die Hoffnung, wenn wir nun anfangen, ein Haus zu suchen, losziehen um neue Möbel zu kaufen, es uns wieder gemütlich einrichten, dann habe ich damit eine Aufgabe, ein Ziel, sehe das es vorwärts geht.
Und wir haben es genauso gemacht. Es war nicht leicht, etwas bezahlbares zum Mieten zu finden, aber letztlich haben wir Mitte April doch den Mietvertrag für das Häuschen hier unterschrieben.
Mittlerweile waren ja auch Philipp und Julian informiert, dass wir in Deutschland bleiben, sie waren noch bei Oma und Opa untergebracht und wurden natürlich verwöhnt, so konnten sie sich doch mit der Situation anfreunden.
Denn auch die Kinder hatten keinen Abschied von all ihren Freunden gehabt.
Da sie dachten, wir fliegen nur spontan mal ausser der Reihe nach Deutschland, gab es für sie ja nicht mal einen Abschied von Cleo, April, Brutus und Cäsar.
Wir haben ihnen aber versprochen, dass unsere Tiere nachkommen werden, das hat sie dann doch getröstet.
Dank Dani´s Kollegen wurde dann im April in Accra unser Container gepackt und auf die Reise geschickt.
Ich hoffte, wenn ich dann alle meine Sachen wieder hier habe, all die kleinen Dinge, die mir etwas bedeuten, wo viele Erinnerungen dran hängen, dann bekomme ich damit auch ein Stück mehr von meinem Leben wieder.
Es geht mir nicht darum, hier das Leben von Ghana zu leben, das geht mal schon wegen dem Mistwetter nicht.
Es geht um kleine Dinge, die bedeutend sind, die Halt geben, die erinnern an Menschen und Situationen, in denen man glücklich war.
Leider fehlte das eine oder andere, was mir albernerweise wichtig war.
Es waren wieder nachträgliche Abschiede ohne richtigen Abschied.
Einen Neuanfang machen bedeutet, man muss ich von Altem verabschieden, es abschliessen, damit zum Ende kommen.
Leider klären sich unsere noch offenen Angelegenheiten in Ghana nicht so schnell, wie wir es erhofft hatten. Somit verschiebt sich ein Schlussstrich unter 3 Jahre Ghana in weite Ferne.
Man muss sich immer wieder damit beschäftigen, nachdenken, es Revue passieren lassen.
Wie soll man etwas aufarbeiten, was noch nicht mal abgeschlossen ist?
Was immer wieder neue Wendungen einschlägt?
Mit der Zeit stauen sich innerlich sehr viele Gefühle auf.
Wut
Trauer
Verzweiflung
Heimweh
Angst
Aber das schlimmste meiner Gefühle ist die Enttäuschung.
Die Enttäuschung über mangelndes Verständnis mancher Leute.
Es scheint derzeit Menschen zu geben, die von uns 100% Einsatzfähigkeit verlangen, die mit keinem Gedanken darauf kommen, dass sich unsere ganze Familie in einer sehr schlimmen seelischen Verfassung befindet.
Gleichzeitig haben wir unseren Alltag hier zu händeln sowie uns um unsere Angelegenheiten in Ghana zu kümmern.
Alleine der Alltag hier fordert an manchen Tagen mehr Kraft als wir aufbringen können.
Dani ist den ganzen Tag in der Arbeit, hat sich nebenher noch um den ganzen Verwaltungskram zu kümmern. Da sind Dinge dabei, worüber man nur noch mit dem Kopf schütteln kann, wie z.B. dass wir das Geld für das Flughafentaxi nicht erstattet bekommen, weil es ja wohl nicht nötig gewesen wäre. Wir hätten ja können auch mit öffentlichen Verkehrsmitteln fahren.
Sicher, eine Familie mit 3 Kindern, einem Dutzend Gepäckstücke, nach einem Nachtflug setzt sich in den Zug, steigt xmal um und läuft die letzten 3km zu Fuss.
Man kann sich vielleicht vorstellen, dass solche Sachen bei Dani auch an den nerven zehren.
Chris geht ja seit April hier auf´s Gymnasium. Es ist ja schon mal eine große Umstellung, von einer Schule mit einer Schülerzahl im 2stelligen Bereich auf eine Schule mit mehr als 1300 Schülern zu wechseln.
Wenn dann noch rauskommt, dass er wohl in allen Tests der Stufe 9 durchfallen wird, nicht weil er zu dumm ist, sondern weil hier alle einfach schon viel weiter sind im Stoff, muss man sich kümmern, dass er nicht die Schule wechseln muss, sondern das Jahr wiederholen darf.
Aber am schwersten fällt es wohl Julian. Die vielen Kinder in der Klasse machen ihm schon zu schaffen, er findet es einfach zu laut in der Schule.
Mit den vielen Hausaufgaben ist er überfordert, die vielen Hefte, Bücher und Zettel kann er nicht auseinanderhalten, vergisst das eine oder andere in der Schule. Anfangs war das Verständnis für seine Situation nicht wirklich groß, er sollte alles nachholen, mit der zeit wurde es immer mehr und er ist am Nachmittag nur noch heulend über dem Berg Hausaufgaben zusammengebrochen, wollte aufgeben.
Dann brauchte es deutliche klärende Worte in der Schule und nun kann sich seine seelische Anspannung und der Druck hoffentlich wieder etwas lösen.
Es ist manchmal schwer, in seine Kinder hineinzusehen, gerade wenn man selbst mit seinen Gefühlen zu kämpfen hat, die Geduld und die Kraft fehlt, ihnen die Aufmerksamkeit zu geben, die sie bräuchten.
Deshalb sind Juli und Philipp jetzt auch in Behandlung bei einer Kinderpsychologin, die in Gesprächen festgestellt hat, dass bei den beiden Jungs im Kopf ein Kampf mit den gemachten Erfahrungen stattfindet. Es tut weh, wenn man hört, dass beide manchmal von den Geschehnissen träumen und eine fremde Frau meint, Julian habe viel von seiner Fröhlichkeit und Unbeschwertheit verloren. Ist das aber verwunderlich, wenn Kinder sehen, wie ihre Mutter zusammengeschlagen wird?
Mit einer Therapie wollen sie ihm nun hoffentlich einen Teil davon zurückgeben.
Über meinen Seelenzustand zu schreiben, fällt mir jetzt schon etwas schwerer.
Dass alles, was in den letzten Monaten passiert ist, seine Spuren hinterlässt, ist klar.
Und ich hatte auch sehr lange die Hoffnung, alles in den Griff zu bekommen.
Wie heisst es so schön "Die Zeit heilt alle Wunden"
Aber wenn Wunden so tief sind, dass die bei den nichtigsten Anlässen wieder aufbrechen, dann ist fraglich, ob ein Mensch soviel Zeit hat.
Und scheinbar sitzen meine Wunden so tief.
Es kostet Überwindung, zuzugeben, dass man Probleme hat. Es ist Scham dabei, solche "Schwächen" (die eigentlich keine Schwächen sind) einzugestehen.
Aber ich muss mich für nichts schämen, ich möchte mich für nichts schämen.
Darüber zu reden, erleichtert. Und manch einer hat dazu gemeint, es ist erstaunlich, wie lange ich durchgehalten habe.
Und alle, die dafür kein Verständnis aufbringen, die meinen, uns immer noch fordernd entgegentreten zu können, denen wünsche ich nur einen Bruchteil unserer Erfahrungen, um selbst zu spüren wie es sich anfühlt!
Ich bin in meinem Leben schon oft zu Boden gegangen.
Ich bin immer wieder aufgestanden, mit oder ohne Hilfe.
Und mit jedem Mal bin ich daran gewachsen.
Jeden Kampf, der danach kam, habe ich umso härter gekämpft!
Versprochen!